Leica M EV1, eine andere M 
Ist das jetzt das Ende des Messsuchers?  Oder nur eine andere Art einer M-Kamera? Der Frage wollen wir nachgehen. 
 M steht seit 70 Jahren für Messsucher und eine außergewöhnliche Kamera. Als die glücklose Leica M5 auf den Markt kam, stand die M-Fangemeinde den größeren Veränderungen an der Kamera zumindest kritisch, wenn nicht mit Ablehnung gegenüber. Seit der Einführung der M6 ist Leica eher vorsichtig mit den Weiterentwicklungen. Das Leitmotiv kann man bis heute so zusammenfassen: wesentliche und sinnvolle Innovationen JA, grundlegende Veränderungen NEIN. 
Jetzt stellt Leica eine M ohne Messsucher vor. Wohlgemerkt, nicht um die klassische M zu ersetzen, sondern um das Produkt durch eine „moderne“ Variante zu ergänzen. An die Stelle des optischen Messsuchers tritt ein elektronischer Sucher, EVF genannt (Electronic View Finder). 
 Der M-Benutzer hat nun die Wahl zwischen drei Lösungen:  
- M mit Messsucher 
- M mit Messsucher und externen EVF  
- M mit eingebautem EVF 
 
Vier Dinge fallen sofort auf, wenn man die Kamera aus ihrer Verpackung nimmt: 
- Der Messsucher fehlt, an seine Stelle tritt der EVF 
- Das ISO-Rad ist verschwunden (wie schon bei der M11-D) 
- Die Belederung ist der Q entlehnt 
- Die Kamera ist deutlich leichter als die klassischen Modelle 
Nach den ersten Versuchen stellt man fest, dass zwei M-typische Bedien- und Steuerelemente systembedingt eine neue Anwendung fanden:  
Das kleine Fenster auf der Vorderseite, das für die Scharfstellung des Messsuchers notwendig war, dient jetzt für eine LED des Selbstauslösers. Der Bildrahmenwähler wird jetzt genutzt zur Aktivierung der Fokussierhilfe oder des Digitalzooms (Werkseinstellung). 
Die neue Kamera basiert auf der M11 mit einem identisches Bedienkonzept (sieht man von der Neubelegung des Bildfeldwählers und dem Wegfall des ISO-Rades ab). Bisher war und bleibt der Messsucher das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zu allen anderen Kamerakonzepten. Wem die LEICA M11 vertraut ist, der ist zunächst mal nicht verloren. Alle wesentlichen Bedienelemente sind dort, wo man sie erwartet. An der Menu-Führung wurde grundsätzlich nichts geändert. Die neue Belegung des Wählhebels ist eine absolut sinnvolle Lösung, reduziert auf für die Aufnahme wesentlichen Funktionen (Focus Peaking, Focus Aid, Digital Zoom). Die Wahlmöglichkeiten der FN-Tasten haben damit eindeutig zugenommen. Der Wegfall des ISO-Rades stört nicht.  Die Wahl der ISO-Stufen erfolgt per Daumenrad (Werkseinstellung).
Kommen wir nun zum Wesentlichen, dem elektronischen Sucher. Eingefleischte Q-Benutzer werden wohl nicht verloren sein. Der EVF der M EV1 verfügt über die gleichen optischen Eigenschaften wie die der Q3. Aber das macht den EVF noch zu keinem Messsucher, somit kein Ersatz, sondern eine mögliche Alternative!  Die Helligkeit des Suchers kann den persönlichen Anforderungen angepasst werden. Die Bildqualität ist der des aufsetzbaren Visoflex2 deutlich überlegen. Die einfache und praktische Aktivierung zur Scharfstellehilfe durch den Bildfeldwähler zeigen ebenfalls ihre Wirkung. Fokussieren ist somit erleichtert, zumindest bei normalen Lichtverhältnissen. So erinnert das Fotografieren an die SL mit angesetzten M-Objektiven, nur dass es eine M ist und die Kamera somit leichter und eindeutig diskreter ist. Der Messsucher erlaubt die Kontrolle des „Umfelds“ und ist konstruktionsbedingt unabhängig von den Lichtverhältnissen und von der gewählten Brennweite des Objektivs. Beim EVF ist es genau umgekehrt. Das sichtbare Sucherfeld wird durch das angesetzte Objektiv bestimmt. 
Ein M-Neueinsteiger wird dies eher als „normal“ empfinden.  Für den klassische M-Benutzer stellt sich eher die Frage, ob der EVF die Besonderheiten des Messsuchers ersetzen kann?  Man kann diese Frage mit ruhigen Gewissen verneinen. Wem z.B. schnelles und unauffälliges Fokussieren bei schlechten Lichtverhältnissen wichtig ist, der wird weiterhin zur klassischen M mit Messsucher greifen. Dem Landschaftsfotografen, dem die direkte Kontrolle der Perspektive und die Beurteilung des endgültigen Bildes wichtig sind, der wird mit dem EVF ein neues „M-Gefühl“ entdecken. Perspektivkontrolle und Kadrierung gelingen mühelos. Der direkte Bildeindruck erleichtert die Arbeit. Weiterhin kann der elektronische Sucher das Scharfstellen bei längeren Brennweiten, bei Offenblende sehr lichtstarker oder älteren Objektiven mit „Fokusshift“ vereinfachen.  Wer zusätzlich die Chance hat ein neueres Objektiv mit Nahfokussierung zu besitzen, dem wird der neue Sucher sicherlich gefallen. Man könnte dem entgegenhalten, dass bei diesen fotografischen Aufgaben ähnliches Ergebnis mit Hilfe des externen Suchers erreicht werden können. Für einen Neueinsteiger stellt sich diese Frage allerdings weniger. Ob der EVF das Scharfstellen grundsätzlich erleichtert, ist abhängig von der Aufnahmesituation und den verwendeten Objektiven (Weitwinkel, Tele, hohe Anfangsöffnung etc.). Der bestehende M-Benutzer, der weiterhin schnell und unauffällig oder bei schlechten Lichtverhältnissen scharfstellen will, der wird wohl weiterhin den Messsucher bevorzugen.  Wer hingegen einen leichteren Einstieg in die M-Fotografie sucht, findet mit der M EV1 ein attraktives Angebot.
Zwei Welten, zwei Lösungen: 
Der Messucher ist im Allgemeinen die schnellere Lösung, also perfekt für Fotojournalismus, Dokumentation, Straßen- oder Eventsfotografie,  Der EVF punktet bei Nahaufnahmen, Architektur, Reise und Landschaft.   
Die Entscheidung zwischen Messucher und EVF hängt von den persönlichen Anforderungen ab, von der Erfahrung mit der klassischen M und den fotografischen Gewohnheiten. Ein professioneller Fotograf hat andere Anforderungen als der ambitionierte Amateur. Der interessierte Neueinsteiger, anders als der M-Hardliner etc.  Wer wird also diese Kamera kaufen?  Sicherlich kann man jetzt schon drei Kundenprofile unterscheiden: 
Der Neueinsteiger, den die Aura der ikonischen M anzieht, aber mit dem gewöhnungsbedürftigen Messsucher wenig anfangen kann, Der M-Hobby Fotograf, der gerne mit seinen Objektiven „spielt“ und die Kamera für die Freizeit nutzt, aber keine speziellen Ansprüche an Schnelligkeit und Zuverlässigkeit stellt. Der M-Benutzer, der eine praktische und vielseitige M als Ergänzung sucht, um so die Schwächen der einen durch die Stärken der anderen zu ergänzen. Eine luxuriöse Lösung. Billiger ist sicherlich der Visoflex2 als Ergänzung, aber den mag nicht jeder. 
Gut ist, dass Leica die M EV1 als eine neue Produktlinie und nicht als eine weitere M11 versteht. Die LEICA M EV1 ist keine puristische M, aber was solls. Sie ist einfach anders. Sie öffnet neue Wege, ohne auf die M-Objektive verzichten zu müssen. Ganz im Gegenteil, selten benutzte oder alte Objektive kommen zu neuem Glanz. ​​​​​​​
Alle Bilder mit LEICA M EV1 (Prototype),  Objektive von 21mm bis 135mm. 
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